News |„all the lonely people“ (25. Sept. - 10. Okt.)

Stump, 2017-2019, © Kaari Upson, Courtesy Sprüth Magers

Berlin, 23.8.2021 – Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Villa Aurora zeigt VATMH (Villa Aurora & Thomas Mann House) im silent green Kulturquartier „all the lonely people“. Die von Nana Bahlmann kuratierte Ausstellung greift die jahrtausendealte Tradition des Eremitentums auf und präsentiert vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie künstlerische Darstellungen von Einsamkeit, Melancholie und Sehnsucht sowie von physischem und mentalem Rückzug. Die Werke ehemaliger Stipendiat:innen der Villa Aurora sowie in Los Angeles lebender Künstler:innen sind zum Teil in persönlicher Isolation und zum Teil eigens für die Ausstellung entstanden. Nach Berlin wird „all the lonely people“ bei LAXART in Los Angeles gezeigt.

„all the lonely people“ macht die Erfahrung von Isolation und Einsamkeit sichtbar. Dabei greifen die Kunstwerke tradierte Motive der Einsiedelei wie den Rückzug in die Natur, Melancholie und Kontemplation, Innen und Außen, Austausch und Stille, Ausgrenzung und Trauma auf und wenden diese auf dringliche Fragen der Gegenwart an. Sie geben Themen wie der Einsamkeit im digitalen Zeitalter, autarken Lebensweisen oder imaginierten Zufluchtsorten in Zeiten von Gentrifizierung und systemischer Unterdrückung eine visuelle Gestalt und eine neue Form.

Nana Bahlmann, Kuratorin: „Allein zu sein hat in den langen Monaten der Lockdowns eine ganz andere Bedeutung erlangt. Künstler:innen haben einige Instrumente im Umgang mit Isolation anzubieten, ist Distanz doch ein wesentlicher Bestandteil der künstlerischen Positionierung zur Welt. Kunst transzendiert Einsamkeit, indem sie sie sichtbar macht, interpretiert und damit Gelegenheit gibt, sie zu teilen und das versuchen wir mit dieser Ausstellung.“

Heike Catherina Mertens, Geschäftsführerin VATMH: „Für viele Künstler:innen ist die Villa Aurora ähnlich einer Einsiedelei ein Ort des Rückzugs und der Kontemplation, an dem aus der Distanz Inspiration für Neues entsteht. Für Schriftsteller:innen und Journalist:innen, die in ihrer Heimat bedroht werden, ist sie zugleich – wie schon 1943 für Marta und Lion Feuchtwanger – ein Zufluchtsort, ein Sanctuary. Diese Aspekte wollten wir mit einer Ausstellung zum 25. Geburtstag des Hauses aufzeigen und den Austausch zwischen den Kunstszenen Berlins und Los Angeles stärken.“

Die Werke der Ausstellung reflektieren den Topos des Einsiedlers mit verschiedenen Medien wie Fotografie, Video, Skulptur, Klang und Installation: Vajiko Chachkhianis Video Life Track zeigt ein eindrückliches Bild eines physisch wie mental isolierten Mannes, dessen Einsamkeit sich nicht zwingend in der Abgeschiedenheit zutragen muss, sondern mitten in unserer Gesellschaft meist ungesehen bleibt. Louisa Clements Repräsentantin, ein lebensechtes Selbstporträt der Künstlerin als „Real Doll“, thematisiert die Entfremdung vom Selbst, die stattfindet, wenn sich das eigene virtuelle Abbild von der Realität merklich entfernt, die Einsamkeit eines zusehends im Netz gelebten Lebens. Immer wieder tauschen in Bahlmanns Ausstellung Natur und Künstlichkeit ihre Rollen. So verkehren Kaari Upsons skulpturale Baumabgüsse Naturvorstellungen von Ruhe und Frieden in ein unheimliches Dickicht der Erinnerung, während Andrea Zittel in der Isolation der Wüste anhand skulpturaler Versuchsanordnungen alternative Lebensformen erprobt. Annika Kahrs Playing to the Birds erzählt von dem Versuch, durch Musik und Kommunikation die Einsamkeit zu überwinden. Ein monochromes Gipsrelief von Lauren Halsey zeigt eine Ziegelmauer als Repräsentation der Straße, die zum ultimativem, kollektiven Zufluchtsort vieler Ausgegrenzter ihres Kiezes wird: South Central, ein für Rassenunruhen und Bandenkriminalität bekannter Stadtteil in Los Angeles. Thomas Struths großformatige Arbeit Schlichter Weg, Feldberger Seenlandschaft 2021 ist im Pandemiewinter in Deutschland entstanden, in ländlicher Abgeschiedenheit und Isolation. April Streets Still Life at 12 o’clock schafft mit Bezug auf die Naturverbundenheit von Einsiedlern eine fantastische Weltlandschaft, in der sich physische Realität und Innenwelt auf einer Bildebene vereinen. Während Suzan Philipsz in Trees and Flowers der Angst vor Einsamkeit und Isolation ihre Stimme leiht, erfasst Anri Sala in seiner frühen Videoarbeit Uomoduomo geradezu metaphorisch die isolierte Existenz eines Obdachlosen, der gezwungen ist, außerhalb der Gesellschaft zu leben. Und Saâdane Afif erkundet in einer neuen Arbeit Strategien geteilter Autor:innenschaft im Kontext der künstlerischen Selbstbegegnung im eigenen Werk.

Die Ausstellungsarchitektur hat das kalifornische Architektenduo Johnston Marklee als künstlerischen Beitrag mit Bezug zur Architektur der Villa Aurora entwickelt.

Ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Filmen, Lesungen, Gesprächen, Performances und Konzerten, u.v.a. mit Tanja Dückers, Felicitas Hoppe, Monika Rinck, Yoko Tawada, Senthuran Varatharajah, Planningtorock aka Jam Rostron sowie Olaf Nicolai & Public Possession, ergänzt die Ausstellung. Parallel kuratiert Jan-Ole Gerster eine Filmreihe im Wolf Kino, Neukölln. Weitere Informationen und Tickets unter: www.vatmh.org und für das Filmprogramm: www.wolfberlin.org

Die Ausstellung wird großzügig gefördert vom Auswärtigen Amt, der Senatskanzlei Berlin, der Friede Springer Stiftung und einem privaten Mäzen. Das Begleitprogramm wird unterstützt von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und Wolf Kino.

 

"all the lonely people"

mit Saâdane Afif, Vajiko Chachkhiani, Louisa Clement, Lauren Halsey, Johnston Marklee, Annika Kahrs, Susan Philipsz, Anri Sala, April Street, Thomas Struth, Kaari Upson, Andrea Zittel

25.9. – 10.10.2021; silent green Kulturquartier, Gerichtstr. 35, 13347 Berlin

24.9. – 18 Uhr; Eröffnung – nur auf Einladung

4.12.2021 – 22.1.2022; LAXART, 7000 Santa Monica Blvd., West Hollywood, CA 90038

 

Villa Aurora – Marta und Lion Feuchtwangers legendäres Domizil und gesellschaftlicher Treffpunkt in den 1940er und 1950er Jahren ist zusammen mit dem seit 2017 angegliederten Thomas Mann House eine der spannendsten und begehrtesten Institutionen in Los Angeles. 1995 wurde die Villa Aurora wieder zu einem Ort internationaler Begegnungen und fördert als Künstlerresidenz den deutsch-amerikanischen Kulturaustausch. Als Haus der Erinnerung hält sie das Andenken an die Künstler:innen und Intellektuellen wach, die in Kalifornien während der Zeit des Nationalsozialismus Zuflucht fanden und einen bedeutenden Einfluss auf das Kulturleben an der amerikanischen Westküste hatten. Jährlich vergibt die Villa Aurora Stipendien für Künstler:innen in den Sparten Bildende Kunst, Komposition, Film und Literatur für einen dreimonatigen Aufenthalt in Los Angeles. Allein und in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern veranstaltet die Villa Aurora ein lebendiges und vielseitiges öffentliches Kulturprogramm in Los Angeles und Berlin. | www.vatmh.org

silent green – Das silent green ist seit 2013 ein Kulturcampus mit unterschiedlichen Institutionen und kreativen Initiativen, der sich zu einem Platz voller Leben entwickelt hat. Das denkmalgeschützte Krematorium Berlin-Wedding wurde zu einem Ort, an dem Grenzen einzelner künstlerischer Disziplinen verschoben werden, um sie zu neuen, hybriden Formen zu verknüpfen. | www.silent-green.net

 

Zur Pressemitteilung und Bildmaterial

Zurück